Ist Kinder zu haben ein Menschenrecht? Und wenn ja, wie wird dieses Recht durchgesetzt? Jahrhundertelang entzog sich die Fortpflanzung jeglicher Kontrolle. Frauen wurden ungewollt schwanger, Menschen blieben kinderlos, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschten als ein Kind. Seit relativ kurzer Zeit ist es möglich, ein Kind zu bekommen, auch wenn die biologischen Voraussetzungen dafür fehlen. Theoretisch. Denn da, wo ein Kind nicht mehr einfach „passiert“, sondern im Labor erzeugt wird, entscheidet nicht mehr das Schicksal, sondern die Gesellschaft, wer Mutter oder Vater wird.

Lesbische Paare oder Alleinstehende dürfen in der Schweiz bisher keine Samenspende in Anspruch nehmen. Eizellenspende und Leihmutterschaft sind illegal, was Homosexuellen und unfruchtbaren Frauen die Verwirklichung ihres Kinderwunsches verunmöglicht. Die Gesetzeslage entspringt der Vorstellung, dass ein Kind Mutter und Vater haben muss und die Eltern nicht mehr als ca. vierzig Jahre älter als das Kind sein dürfen. Es gründet sich also auf die biologischen Voraussetzungen zur Fortpflanzung. Dabei haben die medizinischen Möglichkeiten die Natur längst hinter sich gelassen. Übrig geblieben sind moralische Bedenken. Die Frage nach der bedingungslosen Erfüllung des Kinderwunsches erhitzt die Gemüter. Die Gleichberechtigung aller Menschen kollidiert mit dem Kindswohl, die Selbstbestimmung mit der staatlichen Gesetzgebung. Ein Kind für alle reizt bewusst den ethischen Nerv. Das Projekt begreift sich als Teil einer gesellschaftlichen Debatte, die im Theaterraum befeuert und im Anschluss an die Vorstellung vom Publikum weiter geführt wird.

Alle Menschen, die in der Reportage fürs Theater zu Wort kommen, hat Anna Papst zu meist stundenlangen Gesprächen getroffen. Sie hat diese Gespräche in Zusammenarbeit mit Mats Staub zu Texten verdichtet, die jeweils dem Wortlaut und der Sprachmelodie der Protagonist/-innen folgen. Es gibt keine Fiktionalisierung – nur eine Anonymisierung, da viele der Betroffenen nicht erkannt werden möchten. Sei es der homosexuelle Daniel Reina, der mit seinem Partner in der USA eine Tochter adoptierte; sei es Franziska Gloor, die sich mit 39 dazu entschlossen hat, ohne Partner Mutter zu werden und die Dienste einer Samenbank in Kopenhagen in Anspruch zu nehmen; oder Marcel Bühler, der in seiner Tätigkeit als Samenspender in den letzen acht Jahren mehr als 50 Kinder gezeugt hat.

Die Schauspieler Christoph Rath und Jonas Gygax entwickeln ihre Bühnenfiguren, indem sie sich die Sprache, den Tonfall, die Gestik der Interviewpartner zu eigen machen. Auf subtile Weise verflechten sie die Aussagen und Emotionen, die im Gespräch zum Vorschein kamen, zu glaubwürdigen Porträts. Die Erlebnisse und Erfahrungen von denen der Theaterabend erzählt – sei es nun die Entdeckung, dass man gar nicht von dem Vater, der einen aufgezogen hat, abstammt, oder die Übergabe des soeben ausgetragenen Kindes einer Leihmutter an seine Ziehfamilie –, werden nicht nachgespielt. Es ist vielmehr eine Form von „enacted oral history“– eine Aufführung verschiedener Zeitzeugenberichte, wobei die Zeitzeugen weniger von der Vergangenheit als vielmehr vom Hier und Jetzt erzählen.

Anna Papst

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